Es wurde als Beweis angeführt, dass es in Chemnitz «Pogrome» (Spiegel-Kolumnist Augstein) oder zumindest «Hetzjagden» (Re-gierungssprecher Seibert und Bundeskanz-lerin Merkel) «auf Menschen anderen Aus-sehens» gegeben habe. Die Debatte darüber führte zu einer veritablen Regierungskrise in Berlin und zur Entlassung des Präsidenten des deutschen Verfassungsschutzes. Der hatte öffentlich bezweifelt, dass diese Aufnahmen oder andere «belastbare Informationen» die Behauptung stützen könnten, es sei in Chemnitz zu Hetzjagden gekommen.
Kurze Rückblende: In der Nacht auf den 26. August wurde ein Deutscher mit kubanischen Wurzeln erstochen und seine zwei Begleiter mit Messerstichen schwer verletzt. Als dringend tatverdächtig gelten ein 23-jähriger Syrer und ein 22-jähriger Iraker. Die beiden Asylsuchenden sitzen seither in Untersuchungshaft.
Diese Tat und die darauffolgenden Manifestationen werden zu rechter Gewalt und Neonazi-Märschen umgedeutet. Naziparolen grölende Lumpen, die sich den Demonstrationszügen anschliessen und den Hitlergruss zeigen, werden als Beleg dafür angeführt, dass in Chemnitz der braune Mob sein hässliches Haupt erhebe und die Machtfrage stelle. Die Bevölkerung bis hinauf zum CDU-Bürgermeister verwahrt sich gegen diesen Vorwurf und dagegen, dass in Chemnitz Hetzjagden auf Ausländer stattfänden.
Wer das Wort «Hetzjagd» oder den Beweis bezweifelt, ist ein Unmensch, ein Hetzer, ein Rechter, ein Brauner. Wer das Narrativ setzt, das Framing beherrscht, wie das moderndeutsch heisst, hat die begriffliche Oberhoheit und bestimmt den Diskurs, kann Abweichler stigmatisieren, sanktionieren, abqualifizieren.
Aber ist das Video wirklich ein Beweis für Hetzjagden, zumindest für eine? Man sieht, wie ein fremdländisch aussehender Mann von zwei anderen Männern verfolgt wird, die «Verpiss dich!» rufen. Dem deutschen Magazin Tichys Einblick ist das gelungen, was alle anderen Medien schon längst hätten tun sollen: Es konnte mit der Urheberin des Videos und ihrem Mann sprechen. Beide wollen anonym bleiben, aus Furcht vor Übergriffen der militanten Antifa-Bewegung. Sie sind aber beide bereit, eidesstattlich zu versichern, dass es sich ganz anders abgespielt hat, als es in den Mainstream-Medien dargestellt wurde.

Böse Provokation
Tichys Einblick liess sich diese Darstellung von anderen Zeugen bestätigen und zitiert die 35-jährige Frau: «Das neunzehn Sekunden lange Video ist um 16.52 Uhr am Tatsonntag in der letzten Etappe unseres Trauerzugs kurz vor dem Erreichen des Daniel-Tatortes aufgenommen worden.» Mit «Daniel-Tatort» meint sie den Ort, wo in der vorangegangenen Nacht der Deutsch-Kubaner erstochen worden war. Die Frau versichert, und ihr Mann und weitere Zeugen bestätigen das: «Es gab keine ausländerfeindlichen Rufe. Nichts Rechtsradikales.»
Ihr Mann ergänzt, dass seine Frau das Handy zu spät aus der Tasche genommen habe, um auch zu filmen, was diesen neunzehn Filmsekunden vorausging - «eine böse Provokation gegenüber uns Trauernden. Durch zwei junge Migranten, die zunächst an der Bushaltestelle gestanden hatten und eigentlich aussahen wie wir». Beide seien aggressiv auf den Zug zugegangen und hätten gepöbelt: «Verpisst euch!»
Dann sei es zu einer Rangelei gekommen, in deren Verlauf «einem unserer Freunde der Inhalt eines Bierbechers über seine Kleidung und wohl auch ins Gesicht geschüttet wurde». Dieser Täter sei dann verfolgt worden. Weil sie gedacht habe, dass nun etwas passieren könnte, habe sie das Handy gezückt und eingeschaltet, sagt die Frau, und wegen der Befürchtung, dass ihr Mann, Kosename Hase, auch losstarten wolle, deutlich vernehmbar «Hase, du bleibst hier» gerufen. Sie beide, und nicht nur sie, hätten keine Hetz- oder Menschenjagden gesehen.
Der Autor des Beitrags, der online in Tichys Einblick erschienen ist, versichert gegenüber der Weltwoche, dass er sich für die Authentizität der Personen und des Gesagten verbürge, er habe aufgrund seiner wochenlangen Hintergrundrecherche nicht den geringsten Zweifel, dass sich die Ereignisse so abgespielt haben. Es ist ein weiteres Alarmsignal, dass es keinem der deutschen Leitmedien einfiel, mit der Frau, die das Video machte, Kontakt aufzunehmen. Es ist inzwischen nicht mehr verwunderlich, dass die Erkenntnisse dieser Recherche bislang in keinem deutschen Medium aufgenommen wurden.
Man lässt sich doch nicht durch die Wahrheit eine gute Story und den Begriff «Hetzjagd» kaputtmachen.
Von ReneZeyer, Weltwoche Nr. 47.18
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